Eduard Kauffer                      Wanderung bei Nacht

 

 

I.

 

Die Nacht, die Pilgerin im Trauerkleide,

Durchwandelt still die blühenden Gefilde...

Die Rosen und Violen duften milde

Und leis’ nur athmet die bethaute Haide.

 

Aufsteigend webt ein Netz von Strahlenseide

Der Mond um des Gebirges Felsgebilde,

Daß sie, des Thales graue Wetterschilde,

Weithin erglänzen wie von Goldgeschmeide.

 

Wie sanft ruht Alles, längst vom Schlaf umfangen!

Die Blumen und die keuschen Knospen lassen

Entschlummert die so müden Köpfchen hangen.

 

Nur mich allein, den Schlaf und Träume hassen,

Verlockt ein heißes, schmerzliches Verlangen,

Ruhlos zu wandern durch die leeren Gassen.

 

 

II.

 

An Liebchens Haus die weiten Fensterbogen,

D’ran schlanke Säulen zierlich aufwärts streben

Mit altem Schnitzwerk, sind von Eppichreben

Und jungem Weinlaub schlangengleich umzogen.

 

Der Kuß des Windes trifft die Blätterwogen,

Daß wonneschauernd sie zusammenbeben...

Der Springquell flüstert und im Hain daneben

Ertönen sanft der Nachtigall Eklogen.

 

Ein Pförtchen in der Mauer führt zum Garten,

Das mir einst jeden Abend war erschlossen,

Und niemals ließ Blauäuglein auf sich warten;

 

Doch sind die sel’gen Zeiten längst verflossen,

Die Bäume kahl, die sonst von Blüthen starrten,

Die Blätter welk und dürr des Glückes Sprossen.

 

 

III.

 

Stets wird die Nacht mir unvergeßlich bleiben,

Wo ich, vor Liebe kaum der Sinne mächtig,

Den Frevel unternahm ganz unbedächtig,

Dich zu belauschen, spähend durch die Scheiben.

 

Wohl war’s ein unverzeihlich tolles Treiben;

Doch lehrt’ es mich erkennen, wie du nächtig

Noch reizender erscheinst und also prächtig,

Daß kaum ist deine Schönheit zu beschreiben.

 

Die Schulter glänzte wie aus Schnee gewoben

Und in den Augen mußt’ ich, in den blauen,

Zwei Veilchen, eben erst der Flur enthoben,

 

In deinen hohen schöngeformten Brauen

Zwei Regenbogen nach Gewittertoben

Und einen Engel in dir selbst erschauen.

 

 

IV.

 

Zwar zürnst du mir, doch kehr’ ich immer wieder

Mit reuigem Gemüth zu deinen Füßen,

Die alte, nicht getilgte Schuld zu büßen,

Und vor dir fällt das Herz andächtig nieder.

 

Der Stimme Schmelz, die Wohlgestalt der Glieder,

Sie reizen mich, dich täglich zu begrüßen...

Dein Anblick muß den Kummer mir versüßen

Und in der Seele hauchen neue Lieder.

 

Verwehre nicht die kleinen Huldigungen,

Grausame, diesen Trost dem armen Kranken!

Und wehrst du es, von Mitleid nicht durchdrungen,

 

So hindert keine Macht doch die Gedanken

Zu folgen dir und sich in ewig jungen

Ueppigen Zweigen um dein Bild zu ranken.

 

 

 

 

 

Eduard Kauffer                              Die Lieb’ ein Schmetterling

 

Von einer Flur zur andern schwebt der scheue

Tagfalter, unerreichbar jeder Bande,

Treu nur der Untreu’ und dem Unbestande

Und untreu der Beständigkeit und Treue.

 

Sein Lieben wechselt jeden Tag auf’s Neue,

Die bunte Schwinge trägt ihn durch die Lande

Vorwärts von Kelch zu Kelch, von Strand zu Strande

Vom schild’gem Sein zum Sterben ohne Reue.

 

Ihm gleicht die Männerlieb’ im Honigschlürfen

Von holden Lippen, die geküßt entbrennen;

Genuß ist ihr das seligste Bedürfen,

 

Ihr Inhalt: Suchen, Finden und Erkennen,

Ein blüh’nder Kranz von Siegen und Entwürfen

Vom Sieg um neue Siege sich zu trennen.

 

 

 

 

 

Eduard Kauffer                     

 

Nichts hier so treu, als treue Mutterliebe,

Die, wär’ auf erden alle lieb’ vergangen

Doch an der Menschheit und am Leben hangen

Wie am Magnet die Eisennadel bliebe!

 

Ihr Trieb vereinigt alle süßen Triebe

Der Zärtlichkeit: das wonnereiche Bangen,

Das selige verlangen und Umfangen,

Das niemals stirbt, ob auch die Welt zerstiebe.

 

Des Mannes Brust, aus Erz und Stahl geschlagen,

Gehört der Welt und ihrem Vorwärtsschreiten,

dem Reich des Denkens und dem kühnen Wagen.

 

Das Weib aus Rosenblättern, fern dem Streiten,

Verlangt nur Eins, um Alles zu ertragen:

Geliebt zu sein und Liebe zu verbreiten.

 

 

 

 

Eduard Kauffer                      Die Kinder der Apenninen

 

 

I.

 

Europas Garten athmet uns entgegen,

Betraut mit holdem Liebreiz allerorten

So überreich, daß kaum du magst mit Worten

Bezeichnen des Gefildes goldnen Segen.

 

Schon fühlen wir sein glühend Herz sich regen, -

Sein Pulsschlag klopft durch morsche Tempelpforten

So heiß noch wie dereinst, wo den Kohorten

Des Cäsarreichs die halbe Welt erlegen.

 

Stets unvergleichlich schön bleibt dieser Boden,

Geheiligt durch den Griffel der Geschichte,

Deß Monumente keine Zeit wird roden.

 

Die Trümmer selbst, die steinernen Berichte,

Sie flüstern durch der Bäume grüne Loden

Zum Ruhm des Lands unsterbliche Gedichte.

 

 

II.

 

Drei Kinder spielen dort in Gras und Staube,

Wo der Gebirgskamm schießt aus Lavaschlacken,

Ein plumper Riese, dem an Brust und Nacken

Entkeimt der Weinstock mit der süßen Traube.

 

Im Mandelstrauche girrt die Turteltaube

Und aus der Felsen vielgestalt’gen Zacken

Erhebt zum Schutze der geborstnen Wacken

Apollo’s Baum sich mit geweihtem Laube.

 

Die Kinder spielen recht nach Kinderweise:

Der Knabe dient als Roß und ohne Säumen

Beginnt auf ihm sein Schwesterchen die Reise.

 

Sie zittert nicht, mag noch so wild er bäumen;

Denn sorgsam hält den Trabenden im Gleise

Die andre Schwester mit Gebiß und Zäumen.

 

 

III.

 

O kinderzeit, du Frühling ohne Trauer,

Dir immer ähnlich, wo du auch begonnen,

Sei’s im Palaste, neben Zofen, Bronnen,

Sei’s hinter’m Zaun an halbgestürzter Mauer.

 

Wie rasch fliehst du, ein Vöglein aus dem Bauer,

Eh’ wir dich noch von Herzen liebgewonnen,

Geschätzt, begriffen erst, wenn schnell verronnen

Du uns verloren bleibst für alle Dauer!

 

Wohl steigen oft zu den so theuren Hallen

Sehnsüchtig die daraus Verbannten nieder,

Gleich Pilgern, die zum Gnadenbilde wallen;

 

Doch harren sie umsonst der frühen Lieder:

Die Zinnen und die Säulen sind gefallen

Und keine Hand errichtet je sie wieder.

 

 

IV.

 

Wir schweifen weiter durch die klassischen Gaue,

Den Wohnsitz der Legenden und der Sagen,

Und uns umfängt ein unermeßlich Klagen,

Das durch die Luft hinströmt, die sommerlaue.

 

Gewaltherrschaft, sie hängt die düstre Braue

Auf diese Fluren, die verschüchtert zagen...

Wir schaudern; denn an Brutus’ Erbteil nagen

Der Knechtschaft Geier mit gezückter Klaue.

 

So hing der Adler dir einst an der Leber,

Gefesselter Prometheus, dem verschlossen

Durch Götterrathschluß des Gebiet der Gräber.

 

Die grauenhaft zerrissnen Adern gossen

Blutströme auf des Lichtes milden Geber,

der Sterblichen unsterblichen Genossen.

 

 

V.

 

Ein trübes Bild! Kaum will es sich vereinen

Mit jenen Strophen, die vom stillen Leben

Des Menschenfrühlings uns Bericht gegeben...

Der Schmerz des Volkes trifft nicht diese Kleinen.

 

Darum zurück zum Hügel mit den Steinen,

Wo bei der Heerde zwischen Moos und Reben

Der Apenninen Kinder lachend schweben,

Glücklich und reich, ob sie auch arm erscheinen!

 

O mögen sie die Gegenwart genießen,

Die Lust des Daseins auf den Bergen droben,

Wo nicht die Thränen der Leibeignen fließen!

 

Vielleicht daß einst, wenn bei der Waffen Toben

Der Freiheit Blüthen prächtig sich erschließen,

Ihr Glück schon längst versunken und zerstoben!

 

 

 

 

 

Eduard Kauffer                      Das verwundete Herz

 

Was mag am Tödtlichen das Herz verwunden

Tief, tief in seinen innersten Bereichen,

Dort wo Natur des Lebensrades Speichen,

Ein Gottgeheimniß, unsrer Brust verbunden?

 

Was heilen und vernarben nicht die Stunden,

Die wohl das Haar, doch nicht den Kummer bleichen?

Was quält die Brust mit Schmerzen ohne Gleichen,

Bis sie Genesung durch den Tod gefunden?

 

Die Lieb’ ist’s, die, verrathen und belogen,

Zum Born unsel’ger Leiden sich gestaltet,

Wenn Hoffnung ihr und Freude ganz entflogen...

 

Das Mitgefühl, die Zärtlichkeit erkaltet,

Und still schließt sich die Seele, die betrogen,

Wie bei Gewittern sich die Blume faltet.

 

 

 

 

 

 

 

Eduard Kauffer                      Lebensweisheit

 

 

I.

 

Wer, läg’ er an der freude blüh’nden Lippen,

Hieß’ thöricht nicht, wollt’ er im Bruderkreise

Vom Feuertrank der Lust nur kosen leise

Und statt zu trinken, medizinisch nippen.

 

Ich lache der Gelehrten kalten Sippen,

Die peinigend Entsagen nennen weise

Und für die Rose längst dem Lebensgleise

Sich anbau’n Dornenlager von Gestrippen.

 

Nur eine Weisheit ist’s: die des Genusses,

Das süße Schwelgen im Bereich des Schönen,

Das neue Testament des Weins, des Kusses,

 

Wenn alle Herzen Glück und Freude tönen

Und ihren Liebling, zärtlichen Entschlusses,

Mit Eppich nicht zu spröde Mädchen krönen.

 

 

II.

 

Versteht mich recht, das ist es, was ich meine:

Ein Jeder schöpfe von der Freude Bronnen,

Vom Gottesquell der menschlich sel’gen Wonnen,

Nur flieh’ er, was erniedrigt – das Gemeine.

 

Kein Wölkchen trübe seines Herzens Reine,

Wie schnell ist sonst der holde Traum verronnen,

Ja schneller noch verronnen als begonnen

Und Unkraut wuchert aus dem Rest von Weine.

 

Was dem allsegnenden allsel’gen Gotte,

Dem einzigen durch und in sich selber Frohen,

Der Teufel mit des Hasses gift’gen Spotte:

 

Das ist Gemeinheit dem Genuß, dem hohen, -

Die Freude wohnt nicht in der Sünder Rotte

Und selbst die Liebe stirbt im Hauch des Rohen.